„gutzuhören“
30. September bis 3. Oktober 2023
in Northeim
„Das war für mich trotz allem das schönste JuFe, auf dem ich je war!“
Jugendfestival in Northeim trotz schwierigen Situationen gelungen
Unser diesjähriges Jugendfestival in Northeim ist vorüber – wie schade! Rund 230 Jugendliche und junge Erwachsene waren dabei. Und es waren unendlich ereignisreiche und gefüllte Tage: Anhand von aufwendigen Plenumsveranstaltungen, diskussionsreichen und künstlerischen Workshops, Andachten, Bibelarbeiten, einem Beichtgottesdienst und einer Abendmahlsfeier mit Taizé-Atmosphäre wurde das Thema „gutzuhören“ entfaltet: Es gibt Kraft zu hören, was Gott uns sagt. Und dann ist es für uns dran, gut zu hören, was andere uns erzählen.
Dazu kamen die Einführung von Hauptjugendreferent Karsten „Ernie“ Schreiner durch Bischof Hans-Jörg Voigt, die Vorstellung und der erste Verkauf des neuen (gelben!) CoSi IV, ein Sportnachmittag, die obligatorische JuFe-Party, eine großartige JuFe-Band, sehr leckeres Essen und vieles, vieles mehr.
Leider gab es auch zwei unschöne Situationen. Die erste war recht einfach zu klären: Der Einsatz einer Nebelmaschine in der Plenumshalle löste am Montagabend kurz vor Beginn der Plenumsveranstaltung den Alarm bei der Feuerwehr aus. Doch das hat die Teilnehmenden nicht davon abgehalten, den erzwungenen Abendspaziergang an der frischen Luft mit Musik, Singen und Tanzen zu füllen.
Sehr viel schwieriger war die Situation, dass bei der folgenden Abendandacht der Leitende scharfe Aussagen über in der SELK höchst umstrittene Themen wie die Rolle der Frau in Ehe und Gemeinde sowie sexualethische Themen traf, woraufhin mehrere Jugendliche den Saal verließen. Einer der Gebliebenen fasste sich ein Herz, erklomm nach Ende der Auslegung spontan die Bühne und wies darauf hin, dass man all das auch ganz anders sehen könne. Das wiederum veranlasste andere, die Veranstaltung zu verlassen. Das JuFe-Team griff schließlich ein, beendete die Andacht mit einem Gebet um den Heiligen Geist für diese schwierige Situation und lud für nach der Plenumsveranstaltung zu einem von Coach und Kommunikationstrainer Dirk Oefele moderierten Gespräch. Auch das Seelsorgeteam des JuFe sowie alle anwesenden Pfarrer waren im Dauereinsatz, um die Situation wieder einzufangen.
Am folgenden Morgen verlas das Team folgenden in einer mehrstündigen Krisensitzung verfassten Text:
„Ihr Lieben,
dem JuFe-Team tut es unendlich leid, was gestern Abend im Rahmen der Andacht passiert ist. Wir haben in der Nacht stundenlang darüber beraten, wie wir mit all dem umgehen wollen.
Zuerst wollen wir alle um Entschuldigung bitten, die durch die Andacht selbst, aber auch durch die vielfältigen Reaktionen und Folgen verletzt und in ihrem Glauben angefochten worden sind. Wir haben das so nicht kommen sehen, obwohl es Anzeichen dafür gegeben hat.
Wir sind allen dankbar, die in dieser Situation aufklärend und deeskalierend gewirkt haben. Vieles hat mich persönlich sehr beeindruckt. Ich danke dem jungen Mann, der auf der Bühne seinen Gefühlen Raum gegeben hat. Ich danke dem Andachtsleiter für die Geistesgegenwart zu erkennen, dass er seine Andacht angesichts der Situation nicht zu Ende bringen möchte. Ich danke denen, die gegangen sind, um sich vor Verletzung zu schützen – auf beiden Seiten. Ich danke denen, die geblieben sind, und denen, die sogar die Kraft hatten, wiederzukommen. Sie haben gezeigt: Wir wollen beieinander bleiben. Ich danke dem Seelsorge-Team und den vielen anderen, die all denen gut zugehört haben, die im Nachgang Gesprächsbedarf hatten. Insgesamt hat es mich beeindruckt zu sehen und zu hören, wie viele Menschen sich trotz allem sehnlichst wünschen, dass wir als Kirche und Jugendwerk beieinander bleiben.
Das JuFe endet in zwei Stunden. Wir haben deshalb leider nicht die Zeit, die es bräuchte, um all das hier vor Ort aufzuarbeiten. Wir wollen Euch deshalb Gelegenheit geben, im Nachgang im Gespräch zu bleiben. Wir bitten Euch, bei Bedarf das Gespräch zu suchen mit Eltern, Freunden und Vertrauenspersonen, zum Beispiel Eurem Gemeindepastor oder Jugendpfarrer zu Hause. Beim Online-Feedback, für das Ihr gleich einen QR-Code bekommt, wird es ein Feld geben, in dem Ihr Eure Gefühle und auch Eure Fragen zu all dem loswerden könnt. Zusätzlich könnt Ihr das in der dort hinten aufgestellten Box tun. Wir wollen versuchen, darauf in den nächsten Wochen auf unserer Homepage zu antworten. Dort gibt es auch Kontaktdaten, um sich direkt mit uns in Verbindung zu setzen. Und natürlich könnt Ihr jeden von uns ansprechen, solange wir noch hier sind.
Schließlich werden wir in den nächsten Wochen im Team intensiv beraten, welche Konsequenzen wir aus all dem ziehen müssen.
Und wir möchten Euch sagen: Egal, wo Ihr steht: Ihr seid von Gott angenommen und unendlich geliebt.“
Die anschließende Andacht und die abschließende Plenumsveranstaltung ließen danach noch einmal klar werden, wie wichtig es ist, einander gerade in einer solchen Konfliktsituation und ihrer Klärung gut zuzuhören – und natürlich auch offen und gewaltfrei zu kommunizieren. Beim abschließenden Shake-Hands gelang es dann tatsächlich, dass alle Teilnehmenden sich einzeln voneinander verabschiedeten und sich dabei in die Augen sahen – abgesehen von einigen wenigen, die aus verschiedenen Gründen schon vorher abgereist waren. Ein Bandmitglied fasste diese Erlebnisse für sich so zusammen: „Es hat mir Mut gemacht zu sehen, wie wir als Kirche und Jugendarbeit mit so einer Situation umgehen: Dass nicht einer von beiden gebrandmarkt und ausgeschlossen wird. Sondern dass allen klar ist: Wir wollen alles versuchen, um beieinander zu bleiben!“
Alles in allem schaut das JuFe-Team dankbar auf ein gelungenes Festival zurück. Und wir freuen uns über Rückmeldungen wie die einer Teilnehmerin, die sagte: „Das war für mich das schönste JuFe, auf dem ich je war.“
Stellungnahme des JuFeTeams
Liebe Jugendfestival-Teilnehmende und alle, die sich dafür interessieren,
wir hatten schon beim Jugendfestival angekündigt, nach zwei bis drei Wochen noch einmal Stellung zu nehmen zu unserem Festival und speziell zur JuFe-Andacht am Montagabend.
Unter dem Thema „gutzuhören“ fand das JuFe vom 30. September bis zum 3. Oktober statt. Es war toll! Wir hatten viel Spaß, haben viel gesungen, viel erlebt. Wir durften in einer großartigen, sehr wertschätzenden Gemeinschaft die Nähe unseres Gottes erfahren und unseren Glauben leben und ihm Ausdruck verleihen.
In zahlreichen Workshops und Bibelarbeiten haben wir Neues kennengelernt, offen, fröhlich und kontrovers diskutiert und erfahren, wie unterschiedlich sich der Glaube an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus gestaltet. Es war, wie gesagt, ein tolles JuFe!
Das JuFe lebt davon, dass sich alle mit einbringen. Das geschieht neben den verschiedenen Diensten, der Band und dem Sportprogramm, auch durch Andachten, Workshops und Bibelarbeiten. Gerade hier soll unsere Kirche auch in ihrer Verschiedenheit vorkommen. Das bedeutet einerseits unterschiedliche Ansichten auszuhalten, andererseits aber auch Rücksicht auf andere zu bewahren und mögliche Verletzungen nicht billigend in Kauf zu nehmen. Alle Verantwortlichen haben dabei eine große Verantwortung, denn das Teeniealter ist eine Zeit des Suchens und der Verletzlichkeit.
Die von der Jugendkammer definierten Ziele des JuFe zeigen deutlich, wie bunt und kreativ das JuFe sein soll und worauf es ausgerichtet ist: Junge Menschen zur Nachfolge Jesu im Alltag zu ermutigen und sie Gemeinschaft in evangelisch-lutherischen Gemeinden erleben zu lassen.
Und dann war da der Montagabend des diesjährigen JuFe. Im Verlauf der Abendandacht verließen immer mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Raum, einige Dagebliebene waren sichtlich entsetzt, viele haben gar nicht so richtig verstanden, worum es ging. Nach Abschluss der Auslegung gab es eine Gegenrede, und mit Zustimmung des Andachtsleitenden führte ein Mitglied des JuFe-Teams die Andacht durch Gebet und Segen zu Ende. Trotz vieler, die wieder hereinkamen, blieb spürbar, dass die Andacht selbst, aber auch die verschiedenen Reaktionen darauf Menschen verletzt haben.
Weder mit den Inhalten, der Art und Weise des Vortrags noch mit der Bandbreite an Reaktionen haben wir als JuFe-Team gerechnet und waren fassungslos. Durch eine Vielzahl an Gruppen- und Einzelgesprächsangeboten im Verlauf des Abends ließ sich die Situation aber einfangen und mit den meisten klären – vielen Dank an alle Beteiligten! Beim Shake-Hands am nächsten Morgen waren dann auch wieder fröhliche und ausgelassene Gesichter zu sehen, und die Atmosphäre im Raum sagte deutlich: Wir wollen beieinander bleiben und uns nicht spalten (lassen). Das wurde auch durch das Feedback im Nachgang des Jugendfestivals deutlich.
Seit dem JuFe haben wir viele Gespräche geführt mit Betroffenen von beiden Seiten, mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die mit ihnen unterwegs sind, mit Vertretern der Kirchenleitung, mit dem Andachtsleitenden und, und, und. Wir haben das Feedback speziell zum Montagabend studiert, Posts in den Sozialen Medien verfolgt, waren im offenen Austausch in Gremien unserer Jugendarbeit und haben uns mehrmals im Team besprochen, wie wir weiter vorgehen wollen.
Bei alledem stellen wir immer wieder fest: Es tut uns sehr leid, dass Menschen auf unterschiedliche Weise verletzt worden sind. Und wir sehen unseren Anteil an dieser Verletzung. Wir sind im Ringen um Vielfalt und Offenheit in alle Richtungen wohl zu vertrauensvoll – man könnte auch sagen – blauäugig gewesen.
Die Situation ist komplex. Es geht dabei um Lehrfragen, es geht um Umgangsformen, es geht um Regeln für Andachten, um Gesetz und Evangelium und um Zielgruppenorientierung.
Über Lehrfragen streitet die Kirche seit dem ersten Jahrhundert, und auch die SELK steckt in einem immerwährenden Reformprozess. Die in der Andacht angeschnittenen Inhalte zu diskutieren, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Auch ist es nicht unser Anliegen, Partei entweder für konservative oder liberale Inhalte zu beziehen. Grundsätzlich gilt aber, dass Lehrfragen in die Verantwortung der entsprechenden Gremien unserer Kirche gehören (Allgemeiner Pfarrkonvent, Kollegium der Superintendenten und Kirchenleitung).
Zur Art und Weise, wie diese Andacht diese Lehrfragen anging, ist aber doch etwas zu sagen. Sie nahm in unserer Kirche höchst umstrittene Themen wie Homosexualität und die Rolle von Mann und Frau auf, die wenig bis gar nichts mit dem vorgegebenen Bibeltext zu tun hatten. Sie tat das erstens sehr einseitig und zweitens in einer Weise, die seelsorgliches Bemühen vermissen ließ. Gesetzliche Aussagen wurden nicht durch die frohe Botschaft Jesu Christi, das Evangelium, eingeordnet. Die Andacht wurde weder der Komplexität dieser Themen noch der Zielgruppe von Jugendlichen ab 13 Jahren gerecht. Das ist weit weg von dem, was unser kirchlicher Auftrag als Jugendfestival ist (siehe oben).
Wie gesagt, wir bedauern zutiefst, dass es zu all dem gekommen ist. Wir werden bei der Planung zukünftiger Jugendfestivals ganz konkrete Konsequenzen aus alledem ziehen, besonders im Bereich der Andachtsplanung.
Im Nachgang mischt sich, soweit wir wahrnehmen, unter die Sorge und Solidarität mit den Verletzten zunehmend auch die kirchenpolitische Ebene des Themas – in der Diskussion im Jugend- und Freundeskreis, in den Sozialen Medien und Gremien unserer Kirche. Das führt dazu, dass die Fragen, die wir behandeln, immer größer und komplexer werden und sich zunehmend Menschen zu Wort melden, die beim JuFe gar nicht dabei waren. All das geschieht sicher unbewusst, wird aber unserer Ansicht nach wiederum den Teilnehmenden des JuFe nicht gerecht. Die bereits Verletzten auf beiden Seiten werden weiter verletzt, und die vielen, die während der Andacht nicht einmal verstanden haben, was vor sich geht, werden noch mehr verwirrt. All das schadet dem JuFe, der Jugendarbeit in unserer Kirche und insbesondere den Jugendlichen selbst. Bitte wendet Euch zu den Lehrfragen an die entsprechenden Gremien. Eure Kritik an den verschiedenen Akteuren richtet bitte direkt an die Akteure selber, auch an uns als JuFe-Team. Und Eure Solidarität mit den Betroffenen drückt bitte darin aus, dass Ihr ihnen nachgeht und für sie da seid.
Trotz alledem ist das JuFe nach wie vor ein Ort, an dem sich die große Vielfalt in unserer Kirche zeigt. Ein Ort, der gemeinsame Erfahrungen und einen wohlwollenden Austausch ermöglichen soll. Auch umstrittene Themen sollen dabei natürlich Raum haben – allerdings nicht in Andachten, bei denen Menschen nicht reagieren können. Wir laden weiterhin alle jungen Menschen dazu ein, am JuFe teilzuhaben und sich mit einzubringen. Das tut wiederum unserer Jugendarbeit und Kirche gut und wir glauben, es liegt ein großer Segen darauf. Damit wir das nicht vergessen, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten bei Instagram immer wieder Bilder von all den vielen wunderbaren Dingen posten, die das JuFe ansonsten ausgemacht haben.
Dass das JuFe weiter ein Ort für alle Jugendlichen unserer Kirche ist, ist aber nur möglich, wenn wir nicht vergessen, was die Grundlage all unserer Beziehungen und all unseres Engagements ist: Nämlich die großartige und unergründliche Liebe unseres Gottes zu uns Menschen. Dafür und zur Vergebung aller unserer Schwachheit und unserer Ungerechtigkeit und unserer Verurteilungen Anderer und noch für vieles mehr hat er seinen lieben Sohn Mensch werden und kreuzigen lassen. Für jeden von uns!
Und ganz egal, was vielleicht irgendwer behauptet, sicher ist: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt!
Mitteilung von Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten (KL/KollSup)
Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten (KL/KollSup) haben sich auf ihrer Herbsttagung in Bleckmar mit den Ereignissen auf dem Jugendfestival (JuFe) vom 30.09. bis 03. 10. 2023 in Northeim zu einer polarisierenden Andacht und den erfolgten Reaktionen beschäftigt.
Das Gremium dankt dem Leitungsteam des JuFe für rasche und professionelle Reaktionen vor Ort und im Nachgang des Festivals insbesondere für das am 20. Oktober 2023 veröffentlichte Statement, Jugendfestival der SELK (jufe.org).
Die Situation führt uns vor Augen, dass wir alle in gesellschaftlich und kirchlich angespannten Zeiten leben. Darüber haben KL/KollSup diskutiert und ein Arbeitsgruppengespräch geführt. Dabei wurde erkennbar, dass diese Themenfelder intensiv weiterbearbeitet werden müssen. Dem werden wir uns stellen.